Die Keimzelle Kunst ist eine Konzeption des Bildhauers und Malers Peer Christian Stuwe (geb. 1952) und das Ergebnis eines beschränkten Wettbewerbes, – gleichzeitig ein Geschenk der Kulturstiftung der Sparkasse Warendorf an die Gemeinde Ostbevern.

In Umkehrung der alten Artilleristenforderung: Wo ein Etwas ist, soll ein Nichts sein! (Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Der Artilleristenzynismus), wurde ein ungenutzter Pavillon zwischen Rathaus und Kirche vom Künstler in eine kleine Kunsthalle umfunktioniert mit dem Ziel, auf einem öffentlichen Platz aktuelle Positionen zeitgenössischer Kunst zu präsentieren und Kunst zu einem selbstverständlichen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens werden zu lassen.

Das Ausstellungskonzept In Kooperation zwischen dem Kunstverein Galerie Münsterland, Emsdetten und der Gemeinde Ostbevern finden seit Oktober 2003 in der Keimzelle Kunst im Zentrum Ostbeverns wechselnde Ausstellungen statt, die herausragende Positionen zeitgenössischer Bildender Kunst zeigen.
Kuratorin des Kooperationsprojektes ist die Leiterin der Galerie Münsterland, die Kunsthistorikerin Ingrid Raschke-Stuwe.

Der spezielle Standort der kleinsten Kunsthalle Westfalens – vielleicht sogar der Welt -, die Architektur, gläsern und transparent, stellen für die eingeladenen KünstlerInnen immer wieder eine Herausforderung dar. Mit der ihnen eigenen Formensprache entwickeln sie neue ortsbezogene Arbeiten.

Förderung des Gesamtprojektes durch die Kulturstiftung der Sparkasse Warendorf

Eröffnungsausstellung

André-Philip Lemke: „Lemkes charmantes Geschenk aus dem Süden für das sündhaft süße Ostbevern“ (Oktober – Dezember 2003)

André-Philip Lemke (geb.1970, Biographie) studierte an der Kunstakademie Münster und war der Preisträger 2003 für bildende Kunst der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit in Münster.

Das Geschenk oder die Geste des Verschenkens ist ein wiederkehrendes Thema in der Arbeit des Künstlers. Mit Witz, Humor und Hintersinn bricht Lemke existenzielle Denkklischees, alltägliche Rituale, Bilder und Gesten auf und irritiert das gewohnte Handeln (Eröffnungsrede).

Eröffnungsveranstaltung (3.v.l.: Peer Christian Stuwe, 4.v.l.: André Philip Lemke)

2. Ausstellung

Peer Christian Stuwe
Ensemble „Haltestelle“ (Fundstücke, geschweißt) (Januar – Mai 2004)

Peer Christian Stuwe (geb. 1952, Biographie) studierte Kunst und Philosophie und lebt als freischaffender Maler und Bildhauer in Saerbeck, Westfalen (Eröffnungsrede).

(…) Da standen sie: die Krankenschwestern und der Bürgermeister die Jungvermählten und Gequälten mit Gesichtern wie der rote Colorado. Oh hätte das lange Warten doch bald ein Ende, – verdrehten sie die Augen und zogen die Humphrey-Bogart-Hüte weit über die Ohren, um nicht mehr zu frieren. Tränen liefen ihnen über das Gesicht und gruben Furchen, als sie die schwarzen Lackschuhe in das gelbe Blättermeer tauchten und bis zu den Knien versanken im Laub. (Aus: P.C. Stuwe Herbstgedicht)

3. Ausstellung

Kirsten Kaiser
„Weites Feld“(Installation im 15-min-Takt) (Juli – Oktober 2004)

Kirsten Kaiser (geb. 1961; Biographie) studierte Kunst bei Prof. Isenrath in Münster und lebt und arbeitet in Münster.

Mutterboden bietet Substrat. Ein Stück der Weite des Umlandes befüllt die Keimzelle. Busse steuern die Haltestelle an. Die Motoren bewegen. Für einen Moment wird es hektisch. Eine Schaukel pendelt übers Feld. Gedanken – Wünsche – Sehnsucht – ein kleines Stück Freiheit scheint sich hinter den Scheiben zu komprimieren. Zu viel für eine Fläche von 3m mal 3m? Draußen kehrt Ruhe ein. Ein Hund bellt. Hinten klappt eine Autotür. Die Turmuhr schlägt. Im Rhythmus der Schaukel schwebe ich dahin, sehe etwas aufkeimen – auch wenn es nur Gedanken sind. „Es ist ein weites Feld …“

4. Ausstellung

Karin Veldhues und Gottfried Schumacher
Installation und Projektion (November 2004 bis Januar 2005)

In die Acker-Erde aus dem Ostbeverner Umland sind etwa 1050 weiße Eier mit dem roten Stempel des Legedatums gelegt: Ein Rechteck ist entstanden, das zu allen vier Seiten zum Glas hin einen nicht mehr begehbaren Erd-Rand lässt. Weiße Eier in dieser Bündelung haben vielleicht für viele Menschen einen reinen, friedlichen Anblick …

Das Ei ist in jedem Fall eine der genialen Lösungen der Natur, Leben zu entwickeln: Ein leicht verletzliches Leben in einem zerbrechlichen Körper.
Oft handeln unsere Arbeiten von der Versehrtheit / der Unversehrtheit von Körpern, nicht zuletzt dem menschlichen Körper. Die Ei-Form hat zahlreiche Analogien, so z.B. in der Bauform des menschlichen Kopfes.

Abends – sowie in der Frühe – wird LICHT auf die Ansammlung weißer Eier in einem Rhythmus von ca. 17 Sekunden geschaltet. Es beleuchtet sie als Körper. Zusätzlich sind in ebenfalls regelmäßigen Abständen immer wieder Varianten des SARS-Virus als einen bekannten lebensbedrohlichen Zellkörper zu sehen, der sich dunkel und behutsam, mal weitausgreifend, mal als kleine zusammengezogene Form über die weißen Eier legt. Manche erhalten dadurch eine aschgraue Farbe, die sie fremd erscheinen läßt.

Leben und Tod liegen in der KEIMZELLE nahe beieinander, – ein Prinzip, das unsere Existenz beherrscht. Das Glas schützt beides. Gleichzeitig können wir einen „mikroskopischen“ Blick hineinwerfen, der allerdings unsere gewohnte Perspektive und die realen Größenverhältnisse von Virus-Zelle, weißem Ei-Körper – und uns als Betrachter – für Augenblicke verdreht.

Kurz-Vitae zu Karin Veldhues und Gottfried Schumacher

„Leicht durchschaubar“ (April – Juni 2005)

Sabine Swoboda ist Malerin. Vier ihrer Bilder hat sie in Augenhöhe, zu einem Karee zusammengefügt, in die Mitte des Pavillons gehängt. Trägermaterial der Malerei ist Glas, wechselseitig von der Vorder- und Rückseite bemalt. Grafische Strukturen erinern an vernetzte Systeme und abstrakte Vorgänge (z.B. Energieströme und Zeitabläufe) oder aber an Abbildungen aus der Mikrobiologie. Sie werden vielschichtig über- und unterlagert von Farbflächen und figürlichen Darstellungen.

Die zentrale Figur ist ein Fernglasgucker. Ist er etwa ein Jäger oder aber einer, der in seinem verwirrenden Umfeld nach Orientierung und Sinn sucht? Ähnliche Inhalte wie auf den Glasbilderen besetzen in vergrößertem Maßstab die Glaswände des Pavillons mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Bilder.

Die Erscheinungsvielfalt ist lichtabhängig. Durch Licht findet die Befruchtung der Keimzelle statt und vermehrt die Seherlebnisse (wandernde Schatten, Lichtreflexe, Spiegelungen….) manchmal bis über die Abmessungen des Pavillons hinaus.

Kurz-Biografie zu Sabine Swoboda

6. Ausstellung

Wiebke Bartsch
„Norden“ (2005)

Die Installation in der Keimzelle Kunst erzählt von Heimat und Erinnerung. Norden- das meint hier nicht (nur) „im Norden“, sondern die kleine Stadt Norden in Ostfriesland. In dieser Kleinstadt verbrachte ich den größten Teil meiner Kindheit.

Die Objekte- Kleinkinderwäsche und Karorock, Kartoffelketten mit Christbaumkugeln, Wassereimer und Plastikschalen, eine Dampferlinie und Taue, Fliegen und Stoffpolster, Selbstportraitpuppe im Puppenbett, ein paar Sätze zum Meer- sind Teil einer Assoziationskette, die als eine mögliche Geschichte zu lesen sind.

Wie die Geschichte lautet, hängt auch davon ab, welche Geschichte der Betrachter mitbringt, welche Erinnerungen seine sind.

Der an die Glasscheibe geklebte Text ist ein Auszug aus „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm.
Als Kind bekam ich das Buch von meinen Eltern geschenkt und freute mich besonders darüber, dass endlich mal eine Romanfigur so ähnlich hieß wie ich – Wienke.
Wiebke Bartsch

Kurz-Biografie zu Wiebke Bartsch

7. Ausstellung

Artur Klinow (geb. 1965 in Minsk)
Sweet Straw Life, 2005 Stroh, Holzkonstruktion, Bindfaden September bis November 2005

Artur Klinow ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler Weißrusslands und gehört zur Avantgarde der jungen osteuropäischen Kunst.
Seine durch Zeit- und Gesellschaftskritik geprägten Arbeiten, – Malerei, Bildhauerei und Installationen -, fallen in seinem Heimatland größtenteils der politischen Zensur zum Opfer, so dass seine Kunst nahezu ausschließlich im Ausland gezeigt werden kann.

Ein bevorzugtes Arbeitsmaterial Artur Klinows ist seit einigen Jahren Stroh.
Stroh ist für den Künstler das geeignete Material, um die Vergänglichkeit alles Irdischen auszudrücken und auf teils drastisch sarkastische Weise Ewigkeitsansprüche politischer oder weltanschaulicher Ideologien zu persiflieren.
Der Philosoph Martin Heidegger beschreibt in seinem Standartwerk „Sein und Zeit“ die Situation des Menschen als ein „Geworfensein in die Welt“.

Die Installation Sweet Straw Life, speziell für die Keimzelle Kunst geschaffen, thematisiert diese Verlassenheit des Individuums auf eindringliche Weise.
Alles ist Werden und Vergehen, das menschliche Leben eine kurze Spanne zwischen Geburt und Tod, – und danach: Erde zu Erde, Staub zu Staub, – und Artur Klinow würde hinzufügen: Stroh zu Stroh.

Kurz-Biografie zu Artur Klinow

8. Ausstellung

CODE, 2005
Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner

Objekt: Eva-Maria Joeressen, Klanginstallation: Klaus Kessner

Die audio-visuelle Installation CODE wurde eigens für die ‚Kleinste Kunsthalle der Welt‘ entwickelt. Ihr Thema sind die verschiedenen Bedeutungsebenen des Begriffs Code: Zeichensystem – Kommunikation – Verschlüsseln – Entschlüsseln.

Ein Code ist zum einen ein allgemein verständliches Zeichensystem, die Grundlage jeglicher Kommunikation, zum anderen aber auch die Möglichkeit, eine Nachricht zu verschlüsseln, allgemeine Kommunikation auszuschließen.

Kunst und Musik haben ebenso einen Kodex von Codes entwickelt, aus denen sie schöpfen, über die sie sich definieren und deren Kenntnis für Umgang und Verständnis eines Kunstwerks nötig ist.

Objekt
Das vierseitige Leuchtobjekt besitzt insgesamt 28 Röhren. Die sieben Röhren auf jeder Seite sind die Signalfolge eines ASCII-Zeichens – C; O, D, E dargestellt in einem binären Leuchtsystem: Aus für Null, Ein für Eins. Der immaterielle, ‚außerirdische‘ Schein der grünen Röhren unterstreicht den geheimnisvoll, hermetischen Charakter dieser Arbeit. Wie ein Litfass-Pfeiler präsentiert sich das Objekt als Werbeträger für Kunst, ein Werbeträger, der allerdings seine Botschaft verschlüsselt.

Klang
Der Klang wird über 4, auf je eine der Scheiben der ‚Kleinsten Kunsthalle der Welt‘ montierte Piezo-Lautsprecher übertragen. Beim ersten Zuhören erinnert der Klang vielleicht nur an das bekannte 50-Hz-Brummen von Leuchtstoffröhren – scheint also nur vom Objekt zu kommen.
Beim näheren Zuhören offenbart sich aber die eigene, komponierte Struktur: Anders als das Objekt mit seiner eingefroren Leucht-Botschaft, wandelt sich der Klang ständig. Er schöpft aus dem gesamten ASCII-Zeichensatz und transponiert diesen in ein Wechselspiel aus Timbre und Rhythmus..

Kunst als Code, kodierte Kunst – der Schlüssel liegt im Einlassen.

Biografien zu Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner

9. Ausstellung

Werner Schlegel
„Bildmal“, 2006 Sperrholz, Papier, Acryl, Ölkreide, Graphit, Kirschenholz (März bis Juni 2006)

Thema der ausgestellten Arbeit ist die Verbindung von Skulptur und Zeichnung. Der Arbeit liegt kein kompliziertes Gedankengerüst zugrunde, sondern versucht die beiden klassischen Gattungen: Zeichnung und Skulptur auf spielerische Weise zusammen zu führen.

Biografie:
Biografie Werner Schlegel
Einzelausstellungen
Gruppenausstellungen

10. Ausstellung

Katerina Kuznetcowa
Alexander Edischerow

Warteraum ( Juli und August 2006)

Die Keimzelle Kunst steht zwischen Rathaus und Bushaltestelle. Beides, Behörden und Haltestellen, verbindet man mit Warten, Sitzen, Verweilen. Durch ihre besondere Lage bietet sich die Keimzelle Kunst an, dem Warten ein Denkmal zu setzen, ihm Raum zu geben, – einen Warteraum. Zwei Bänke, ein Schriftzug und ein elektronisches Klingelsignal laden den Passanten ein, das Wesen des Wartens zu erleben. Bitte treten Sie ein!

Katerina Kuznetcowa

1974 in Smolensk (Rußland) geboren
1991-1996 Studium der Textilgestaltung an der Staatlichen Technologischen Universität in Witebsk (Weißrußland)
1999-2002 Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Münster
seit 2002 Studium an der Kunstakademie Münster bei Prof. Maik und Dirk Löbbert
2005 Meisterschülerin von Maik und Dirk Löbbert

Biografie Katerina Kuznetcowa

Alexander Edischerow

1973 in Tbilissi (Georgien) geboren
1989-1995 Studium der Malerei an der Fachhochschule in Tbilissi
1995-1998 Studium der Malerei an der Kunstakademie Tbilissi
1998-2002 Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Münster
seit 2002 Studium an der Kunstakademie Münster bei Prof. Maik und Dirk Löbbert
2005 Meisterschüler von Maik und Dirk Löbbert
2006 Akademiebrief

Biografie Alexander Edischerow

11. Ausstellung

Andreas Rosenthal
„VIER ANSICHTEN DER GÜTE“ Pinselzeichung Lackfarbe auf Plexiglas 4 x je 2 x 100 x 200 cm
(Oktober und November 2006)

Die von der Keimzelle Kunst aus den vier Himmelsrichtungen gezeichneten „Vier Ansichten der Güte“ beziehen sich auf die allegorische Figur der „Bonitas“ – „Güte“, die als Sandsteinskulptur in 68 m Höhe neben 17 weiteren Tugenden vom Rathausturm Dresdens ins Land blickt.

Diese Figur ist international unter der Bezeichnung „Engel von Dresden“ als Sinnbild gegen jegliche Kriegszerstörung in die Geschichte und in die Geschichtsbücher eingegangen.

Biografie Andreas Rosenthal